Die Zentralen Ergebnisse
Die untersuchten Vinschgauer Betriebe haben 2017 über sieben Monate hinweg für Umwelt und Gesundheit hochproblematische Pestizide in teils hoher Frequenz und Menge eingesetzt. Das sind die wichtigsten Ergebnisse unserer Auswertung:
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Durchschnittlich 38 Pestizidbehandlungen pro Apfelplantage im Jahr 2017
Durchschnittlich wurden die Apfelplantagen in der Saison 38 Mal mit Pestizidwirkstoffen behandelt.
(Zur Erklärung: Mit Pestizidbehandlungen sind dabei nicht die Anzahl der Spritzeinsätze auf einer Plantage gemeint, sondern die Anwendungen einzelner Pestizidwirkstoffe. Ein:e Landwirt:in kann bei einem Spritzeinsatz mehrere Pestizidwirkstoffe gleichzeitig auf die Plantage ausbringen.)
Dauerbelastung zwischen März und September 2017
Von März bis September 2017 gab es im Vinschgau keinen einzigen Tag, an dem nicht gespritzt wurde.
Viele gesundheits- und umweltschädigende Pestizide
Bei fast einem Viertel aller Pestizidbehandlungen kamen Wirkstoffe zum Einsatz, die als besonders schädlich für Nützlinge gelten. Mehrere der am häufigsten eingesetzten Pestizide gelten als „vermutlich fortpflanzungsschädigend“ wie zum Beispiel Penconazol, Fluazinam und Phosmet. Pestizidwirkstoffe wie Bupirimat und Captan gelten als „vermutlich krebserregend“. Auch Glyphosat ist unter den am häufigsten eingesetzten Pestizidwirkstoffen. Das Totalherbizid wurde von der Internationalen Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft.
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Cocktail-Effekt: Gleichzeitige Behandlung mit mehreren Pestiziden
Bei mehr als der Hälfte der untersuchten Einsätze wurden mehrere Mittel zusammen ausgebracht. Dabei kamen am selben Tag bis zu neun verschiedene Mittel auf eine Apfelplantage. Welche Wechselwirkungen sich für Mensch und Umwelt bei der Mischung verschiedener Pestizidwirkstoffe ergeben – der sogenannte Cocktaileffekt – ist jedoch noch nahezu unerforscht. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass durch die Kombination verschiedener Pestizide deren Wirkungen verändert oder verstärkt werden können.
(Zur Erklärung: Ein „Mittel“ bezeichnet die verkaufte Formulierung und kann einen oder mehrere Pestizidwirkstoffe enthalten sowie Beistoffe.)
Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide trotz Alternativen
Fast 90 Prozent der Pestizidbehandlungen führten die Betriebe 2017 mit chemisch-synthetischen Substanzen durch. Dabei gibt es für viele der am häufigsten aufgeführten Einsatzgründe alternative, nachhaltigere Maßnahmen. Über 90 Prozent der untersuchten Betriebe setzten beispielsweise Herbizide wie das umstrittene Glyphosat ein, um Beikräuter zu bekämpfen. Herbizide machten alleine fast zehn Prozent aller Anwendungen aus. Ihr Einsatz im Apfelanbau ist jedoch überflüssig, da erprobte und risikoarme mechanische Alternativen zur Regulierung von Beikräutern bestehen.
Die Spritzhefte aus dem Südtiroler Pestizidprozess
Die Auswertung der Spritzhefte, die im Südtiroler Pestizidprozess als Beweismittel sichergestellt wurden, ermöglichen erstmals Aussagen darüber, welche Pestizide wann und in welcher Menge im Vinschgauer Apfelanbau eingesetzt wurden – Informationen, die bisher nicht an die Öffentlichkeit gelangt sind.
Auswertung: Die Spritzhefte aus dem Südtiroler Pestizidprozess
Welche Pestizide werden wann wo und in welcher Menge gespritzt? Obwohl Landwirt:innen in der EU über ihre Pestizideinsätze Buch führen müssen, werden diese Daten von Behörden bisher nicht zentral erfasst, geschweige denn ausgewertet und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Das Umweltinstitut konnte nun die reale Spritzpraxis in einer intensiv bewirtschafteten Region auswerten und in einem Bericht veröffentlichen. Grundlage dafür waren Spritzhefte Südtiroler Obstbäuerinnen und -bauern aus dem Jahr 2017, die im Pestizidprozess gegen unseren damaligen Agrarreferenten Karl Bär als Beweismittel sichergestellt wurden.
Der Bericht zur Auswertung
Hier können Sie eine Zusammenfassung Bericht als PDF lesen.
Südtirol ist Europas größtes zusammenhängendes Obstbaugebiet: Auf rund 18.000 Hektar werden dort Äpfel angebaut. Die Apfelplantagen lieferten im Jahr 2021 rund 935.000 Tonnen Ertrag. Die hohen Erträge auf relativ kleiner Fläche sind nicht nur auf das günstige Klima zurückzuführen, sondern werden auch durch den massiven Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide erreicht. Dass Pestizide maßgeblich zum Insektensterben beitragen, Wasserorganismen schädigen und sich auch negativ auf die menschliche Gesundheit auswirken können, ist seit langem bekannt.
Im Jahr 2017 kritisierte das Umweltinstitut mit der Aktion „Pestizidtirol“ den hohen Pestizideinsatz in Südtirols Apfelanbau – und wurde dafür vom Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft und mehr als 1.300 Bäuerinnen und Bauern angezeigt und vor Gericht gezerrt. Der Vorwurf: üble Nachrede und Markenfälschung. Im Mai 2022 endete der Prozess mit einem Freispruch.
Hintergrund: Der Pestizidprozess in Südtirol
Um die deutsche Öffentlichkeit über den hohen Pestizideinsatz in der beliebten Urlaubsregion zu informieren, lancierte das Umweltinstitut im Sommer 2017 die „Pestizidtirol“-Aktion. Ein Plakat, das für einige Tage an einem Münchner U-Bahnhof zu sehen war, thematisierte im Stil der Südtiroler Tourismus-Marketingkampagne den Widerspruch zwischen der intensiven Obstwirtschaft und der idyllischen Südtiroler Tourismus-Werbung. Begleitet wurde diese Aktion von einem Informationstext auf einer Homepage, die wir eigens dafür eingerichtet hatten.
Die Folge: Der Südtiroler Landesrat für Landwirtschaft Arnold Schuler zeigte unseren ehemaligen Referenten für Agrar- und Handelspolitik Karl Bär und Personen des damaligen Vorstands wegen übler Nachrede und Markenfälschung an. Mehr als 1.300 Landwirt:innen schlossen sich der Anzeige an. Im September 2020 wurde Anklage gegen Karl Bär erhoben. Im Falle einer Verurteilung hätten im schlimmsten Fall eine Haftstrafe sowie der finanzielle Ruin durch Schadensersatzforderungen von tausenden Südtiroler Landwirt:innen drohen können. Dieser Prozess hielt uns mehr als zwei Jahre lang in Atem, bevor er im Mai 2022 endlich in einem Freispruch endete.